Surrogates
Artworks
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Surrogates: Richard Avedon, Alexandra Bircken, Lena Henke
Elisa Schaar
Text übersetzt aus dem Englischen von Emily Collard-Ducluzeau
Wie orientieren wir uns in Räumen und sozialen Kontexten, und wie prägen diese Erfahrungen unsere Identitäten? Was verbirgt sich hinter den Masken, Mitteln und anderen Schichten und Erweiterungen des Körpers, die wir als Schutzschilde einsetzen oder für unsere Fortbewegung nutzen? Sind sie gläserne Fenster in unser Inneres oder opake Barrieren zum Verständnis? Wenn wir die Schichten abtragen, welche Geschichten sind dann in sie eingeschrieben? Und welche emotionalen und kulturellen Konnotationen – vielleicht sogar fetischistische – tragen sie in sich? Diese Art von bleibenden Fragen, wie sie unter anderem Kulturtheoretikerin Claudia Benthien bis ins achtzehnte Jahrhundert zurückverfolgt hat, siehe Skin: On the Cultural Border Between Self and World,[1] verbindet Richard Avedon, Alexandra Bircken, Lena Henke, und – durch Avedons Foto ihrer Arbeit in der Entstehung – auch Nancy Grossman.
In der Ausstellung „Surrogates“ greifen sie auf Objekte und Bilder aus den Bereichen Bewegung, Macht und Kontrolle zurück, wie Motorradtanks, Fahrradsättel, die „Bäuche“ von Autos, Reifen, Stierköpfe, Ledermasken, Streitwagen und Trensengebisse. Die Arbeiten nehmen uns mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt von berauschender Freiheit zu exotischen Reizen, über den adrenalingeladenen Nervenkitzel von Macht und Geschwindigkeit, während sie sich gleichzeitig mit den tiefsitzenden Gefühlen von Verletzlichkeit, Domestizierung und Unterwerfung auseinandersetzen, die in den Grenzen patriarchalischer Kontexte entstehen.
In Birckens Arbeiten gehen industriell hergestellte Objekte nahtlos in Körperteile über und stellen die Trennung von Mensch und Maschine in Frage. Bei den beiden zueinander in Bezug positionierten Werken T2 und T3 (beide 2023) erinnern Motorradtanks, die auf Stahlsockeln stehen, an den menschlichen Torso. Die offenen Einfüllstutzen der Tanks fungieren dabei als Öffnungen, die das Atemsystem andeuten, und als Austauschpunkte zwischen Innen und Außen dienen. Die Skulpturen strahlen zugleich eine starke physische Präsenz und eine unheimliche Stille aus und vermitteln den Eindruck von Lungen, die unendlich lange ein- und ausatmen. Damit knüpfen die Arbeiten an Birckens langjährige Auseinandersetzung mit den Ähnlichkeiten, Schnittstellen und Gegensätzlichkeiten zwischen Organischem und Mechanischem, sowie zwischen Physischem und Technischem, Lebendigem und leblosen Strukturen an.
Mittelfleisch (2024) sind drei Bronzeabgüsse eines lederbezogenen Fahrradsattels in jeweils unterschiedlichen Patinierungen: Gold, Braun und Schwarz. Die Form weist einen provokanten Schlitz auf, der an die intimen Konturen des Dammes erinnert – den Bereich zwischen dem Anus und den äußeren Genitalien. Der Sattel rahmt und exponiert diese intimen Körperbereiche durch seine Aussparung. Mit seinen Nähten und der körnigen Ledertextur wird der bronzene Sattel zu einer reizvollen Verschmelzung des Körpers mit dem Industrieobjekt. Dieses Zusammenspiel zwischen Material und Körper verwandelt den Sitz in eine prothetische Verlängerung und enthüllt gleichzeitig die inhärenten prothetischen Qualitäten, die im menschlichen Körper selbst vorhanden sind.
Während Bircken sich besonders mit den transformativen Qualitäten von Hüllen und Schichten befasst, bringt Henke eine andere, aber verwandte Perspektive ein. Mit ihrem Interesse an Architektur und Stadtplanung erforscht sie, wie wir uns im physischen Raum bewegen und wie gesellschaftliche Strukturen unsere Erfahrungen prägen. In A Hard Shoulder I (2024) stapelt Henke ein paar Dutzend gebrauchte Autoreifen so hoch, dass sie das Fenster der Galerie verdecken. Das Arrangement verwandelt die Reifen, die normalerweise Symbole der Mobilität sind, in Barrieren und verweist auf das Paradoxon städtischer Umgebungen, die sowohl befreiend als auch einengend sein können – ähnlich wie die Konsumgüter, die in ihnen vorkommen, mitsamt ihrer Umweltauswirkungen. Die Installation ist in einem Muster angeordnet, das an Strickerei erinnert – ein traditionell weibliches Handwerk – und regt zum Nachdenken über die Geschlechterdynamik im urbanen Umfeld an. Der Titel beschwört die doppelte Symbolik einer Notfallspur und körperlicher Anspannung herauf und verweist gleichzeitig auf Themen wie Fluss und Festigkeit.
Henke untersucht nicht nur die Art und Weise, in der wir uns im urbanen Raum bewegen, sondern auch die persönlichen Beziehungen, die der Einzelne mit seinem Fahrzeug eingeht. In Combustions 19 [The Belly of My Car] (2024) lasert sie ein präzises Abbild der Anatomie ihres Autos, das sie offensichtlich im Liegen aufgenommen hat, auf rohes Leder, welches dann als Relief auf eine Holzplatte montiert wird. Die Arbeit zeigt ihren Fokus auf die Beziehung zwischen dem, was organisch, und dem, was künstlich ist, und lädt den Betrachter ein, über die Kehrseite der persönlichen Freiheit und die fetischistischen Beziehungen, die wir zu Maschinen entwickeln, nachzudenken. Dabei regt sie auch zur Reflexion darüber an, wie die Räume, die wir bewohnen, unsere Identitäten, einschließlich unserer Geschlechterrollen, formen.
Für Bircken und Henke dient das Foto von Avedon, das einen seltenen Einblick in Grossmans Atelier gewährt – es zeigt vier unvollendete, geschnitzte Holzköpfe, bevor sie mit Leder überzogen werden – als treffender Ausgangspunkt für die Erkundung ihrer gemeinsamen bildhauerischen Interessen. Grossmans seit den späten 1960er Jahren in New York entstandene Serie lederbezogener Skulpturen beschäftigt sich mit Themen wie Identität, Gewalt und Trauma. Das Leder, das oft die Augen ihrer Figuren bedeckt, erweckt in diesen Arbeiten widersprüchliche Eindrücke von Schutz und Angriff, Verbergen und Entblößen, Macht und Zurückhaltung und spielt auf komplexe, verdeckte emotionale und psychologische Zustände an, die unter der Oberfläche wirken. Avedons Fotografie einer Arbeit in Entstehung im Jahr 1970, die Grossmans Skulpturen in unverhüllter Form festhält, stellt ein Körpergefühl dar, bei dem es keine Trennung zwischen Außen und Innen gibt.
Genau in diesem Mangel an Abgrenzung treffen sich die bildhauerischen Interessen von Bircken und Henke. Wie Grossman wenden sich beide der Skulptur zu – dem Medium, das traditionell mit der Darstellung der menschlichen Form verbunden ist – und nutzen es für seine Präsenz, Dreidimensionalität und die Betonung von Gewicht und Größe. Wie Grossman verwenden beide Künstlerinnen auch hautähnliche Strukturen und Materialien. Allerdings tritt die Haut hier in einer Weise in Erscheinung, welche die Medientheoretikerin Bernadette Wegenstein als „porös und fließend, als Ort der Begegnung und Exposition zwischen Körper und Medien und nicht als Ort des Ausschlusses und der Verschließung“ bezeichnet.[2]
Während Grossmans Skulpturen eine innere Zerrissenheit suggerieren, befassen sich Birckens und Henkes Arbeiten mit der Frage, wie Körpererfahrungen und Identitäten durch die sie umgebenden physischen Räume geformt werden. Ihre Arbeiten stehen im Einklang mit der Aussage von N. Katherine Hayles in How We Became Posthuman (1999), dass „Verkörperung kontextabhängig ist und mit den Besonderheiten von Ort, Zeit, Physiologie und Kultur verwoben“.[3] Durch die Erkundung der vielschichtigen Bedeutungen von Masken und Vehikeln vertieft „Surrogates“ unser Verständnis von Verkörperlichung und lädt zum Nachdenken über unsere Erfahrungen in einer mediatisierten Welt ein, in der Identitäten nicht festgelegt sind, sondern sich ständig verändern.
Elisa Schaar forscht im Bereich der zeitgenössischen Kunst. Sie arbeitet mit Künstler_innen, veröffentlicht Artikel und kuratiert Ausstellungen in verschiedenen Kontexten. Sie ist Senior Tutor für Kunstgeschichte und -theorie an der Ruskin School of Art der Universität Oxford.
[1] Claudia Benthien, Skin: On the Cultural Border Between Self and World (New York, 2002).
[2] Bernadette Wegenstein, „Body“, in W.J.T. Mitchell und Mark B.N. Hansen, Hrsg. Critical Terms for Media Studies (Chicago, 2010), S. 33. Siehe auch Wegenstein, Getting Under the Skin (Cambridge, Mass., 2006).
[3] N. Katherine Hayles, How We Became Posthuman (Chicago, 1999), S. 196.
Surrogates: Richard Avedon, Alexandra Bircken, Lena Henke
Elisa Schaar
How do we navigate physical spaces and social contexts, and how do these experiences shape our identities? What lies beneath the masks, vehicles, and other layers and extensions of the body that we don as shields for protection or that we use to facilitate our transport? Are they transparent windows into our selves, or opaque barriers to understanding? When we strip away the layers, what stories are inscribed within them? And what emotional and cultural connotations—perhaps even fetishistic ones—do they carry?
These kinds of enduring questions, some of which have been traced back to the eighteenth century by cultural theorists such as Claudia Benthien in Skin: On the Cultural Border Between Self and World,[1] connect artists Richard Avedon, Alexandra Bircken, Lena Henke, and—through Avedon’s photograph of her work in progress—also Nancy Grossman. In the exhibition “Surrogates”, they draw on objects and images from the realms of movement, power, and control, such as motorcycle tanks, bicycle seats, car bellies, tires, bull heads, leather masks, chariots, and snaffle bits. Their works take us on an emotional rollercoaster traversing the exhilarating freedom, exotic allure, and adrenaline-fueled thrill of power and speed while simultaneously confronting the deep-seated feelings of vulnerability, domestication, and subjugation that emerge within the confines of patriarchal contexts.
In Bircken’s works, industrial objects seamlessly transform into body parts, challenging the distinction between humans and machines. In T2 and T3 (both 2023), motorcycle tanks towering on steel pedestals evoke a visceral connection to the human torso, with their open filler necks doubling as orifices suggestive of the respiratory system and serving as points of exchange between inside and outside. Exuding a strong sense of both physical presence and eerie stillness, these tanks convey the sensation of lungs taking one infinitely long breath in and out at the same time. Thus, the works connect to Bircken’s long-standing exploration of the similarities, intersections, and complementarities between the organic and the mechanical, as well as between physical and technological, animate and inanimate structures.
Meanwhile, Mittelfleisch (2024), a leather-covered bicycle seat cast in bronze, features a provocative slit that evokes the intimate contours of the perineum—the area between the anus and the external genitalia. The saddle frames and exposes these private body parts through its cut-out design. With its seams and the grainy leather texture, the bronze seat becomes a tantalizing fusion of industrial object and organic life. This interplay between media and the body transforms the seat into a prosthetic extension, simultaneously revealing the inherent prosthetic qualities present in the human form.
While Bircken particularly attends to the transformative qualities of shells and layers, Henke brings a distinct yet related perspective. With her interests in architecture and urban planning, she explores how we navigate physical space and how societal structures shape our experiences in turn. In A Hard Shoulder I (2024), Henke piles a few dozen used car tires high to obstruct the gallery window. The arrangement transforms the tires, typically symbols of mobility, into barriers, suggesting the paradox of urban environments that can be both liberating and confining—much like the consumer items with their environmental impact that populate them. Neatly arranged in a pattern reminiscent of knitting—a traditionally feminine craft—the installation prompts reflections on gender dynamics in urban environments. Evoking the dual imagery of an emergency lane and the tension in a strained body, the title conjures themes of flow and fixity.
Henke not only examines how we navigate urban spaces, but also delves into the personal connections individuals form with their vehicles. In Combustions 19 [The Belly of My Car] (2024), she laser-etches a precise image of her car’s anatomy—evidently captured while lying beneath it—onto raw leather, which is then mounted on a wooden panel to form a relief. Representative of her interests in the relation between the organic and the artificial, the piece invites viewers to contemplate the flipside of personal freedom and the fetishistic relations we develop with machines. In doing so, it also prompts reflection on how the spaces we inhabit shape our identities, including gender.
For Bircken and Henke, the photograph by Avedon that provides a rare glimpse into Grossman’s studio—featuring four unfinished, carved wooden heads before being covered in leather—serves as a poignant entry point for exploring their shared sculptural interests. Created in New York from the late 1960s onward, Grossman’s series of leather-clad sculptures engages themes of identity, violence, and trauma. In these works, the leather, often covering the eyes of her figures, evokes conflicting impressions of protection and assault, concealment and exposure, power and restraint, alluding to complex, hidden emotional and psychological states lurking beneath the surface. Avedon’s photograph of a work in progress in 1970, capturing Grossman’s sculptures in a naked manner, epitomizes a sense of the body where there is no separation between exterior and interior.
This lack of separation is precisely where the sculptural interests of Bircken and Henke converge. Like Grossman, both turn to sculpture—the medium traditionally linked to the representation of the human form—leveraging it for its presence, three-dimensionality, and emphasis on weight and scale. And both artists employ skin-like structures and materials, akin to Grossman. However, here skin emerges in a way articulated by media theorist Bernadette Wegenstein as “porous and fluid, the site of encounter and exposure between body and media rather than a site of exclusion and closure”.[2] While Grossman’s sculptures suggest inner turmoil, Bircken’s and Henke’s works consider how bodily experiences and identities are shaped by the physical spaces that surround them. Their works resonate with N. Katherine Hayles’ assertion in How We Became Posthuman (1999) that “embodiment is contextual, enmeshed within the specifics of place, time, physiology, and culture”.[3] By exploring the rich meanings of masks and vehicles, “Surrogates” deepens our understanding of embodiment and invites reflection on our experiences in a mediated world, where identities are not fixed but in constant flux.
Elisa Schaar is a scholar, writer, and curator specializing in recent and contemporary art. Working frequently with artists, her articles and exhibitions have appeared in a range of different contexts. She is a Senior Tutor in Art History and Theory at the Ruskin School of Art at Oxford University.
[1] Claudia Benthien, Skin: On the Cultural Border Between Self and World (New York, 2002).
[2] Bernadette Wegenstein, “Body”, in W.J.T. Michtell and Mark B.N. Hansen eds. Critical Terms for Media Studies (Chicago, 2010), p. 33. See also Wegenstein, Getting Under the Skin (Cambridge, Mass., 2006).
[3] N. Katherine Hayles, How We Became Posthuman (Chicago, 1999), p. 196.