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In Michael Pfrommers Bildern sieht man immer wieder Kleidungsstücke, die irgendwie ihre Träger zu imitieren scheinen, in dem sie – innen hohl – die äußere Form eines menschlichen Körpers annehmen können. Man blickt zum Beispiel in das leere Innenfutter eines Anzugs, der aufrecht vor einem steht oder aber fein säuberlich aufdrapiert ist, wie für eine Schaufensterdekoration, um dann wieder, zwar schlapp wie ein abgelegter Freund, jedoch keck wie ein lustiger Voyeur, mit anderen, „echten“ Menschen gemeinsam in einem Bett zu übernachten.
In einem recht dunklen Märchen von Hans Christian Andersen aus dem Jahre 1847 mit dem Titel „Der Schatten“ geht es um einen Mann auf Reisen, der seinen eigenen Schatten dazu bringt, sich von ihm zu trennen, um etwas auszukundschaften, was der Mann allein nicht bewerkstelligen kann. Der Schatten kehrt jedoch nicht mehr zu seinem Herrn zurück. Erst Jahre später, als ein Schatten, der nun in Kleidern steckt und so wie ein Mensch aus Fleisch und Blut erscheinen möchte, klopft er eines Abends an die Tür seines ehemaligen, nun kränkelnden Herrn und dreht sodann den Spieß mehr als nur um, in dem er nämlich den gelehrten, aber gutgläubigen Mann dazu überredet, für einen geschenkten Kuraufenthalt als Gegenleistung, wiederum seinen Schatten, angeblich nur zum Schein, zu spielen. Im Laufe der Ereignisse wird der ehemalige Herr, nun Pseudo-Schatten, mehr und mehr von seinem einstigen, untergebenen Schatten, nun Pseudo-Herrn, abhängig. Solange bis ihm keiner mehr glaubt, dass er einmal ein Mensch war oder es eigentlich ja noch immer ist. Die gemeine Schattenexistenz aber, zwischenzeitlich durch eine getrickste Hochzeit auch noch König geworden, erklärt den gutmütigen für verrückt und lässt ihn sogar öffentlich hinrichten.
Die von Pfrommer gemalten und gezeichneten Menschen entstammen Personen seines privaten Umfeldes, die in seinen Bildern als Varianten einer Art oder einer Familie, als Doppelgänger, Geschwister, Schatten oder als einander auf unterschiedliche Art und Weise ähnlich sehende Hybride vorkommen. Zwar gibt es kein wie in der eben zitierten Erzählung von Hans Christian Andersen hierarchisches Verhältnis zwischen ihnen – auch weil sie ja alle „nur“ Versionen sind – eher scheinen sie nicht nur untereinander gleich, sondern auch gleich viel wert zu sein wie die Gegenstände, die Landschaften und die Architekturen, mit denen sie zu Bildräumen verschmolzen sind. Durch malerische Kontrast- und Schärfesetzungen aber werden die aus unterschiedlichen Welten kommenden Versatzstücke von Menschen, Dingen und Natur in diesen Bildern in eine Art formales wie gleichsam narratives Spannungsverhältnis gebracht. Manche Bildteile vermengen sich auch so, dass sie wie in einer fotografischen Mehrfachbelichtung einander durchdringen und in das Wesen des anderen einzudringen vermögen. Dies passiert nicht nur in friedlicher Absicht, wie beispielsweise in dem Bild mit dem Kissen, auf dem jemand ruht und das mit seinem Muster, wie zum Zeichen gegenseitiger Übereinkunft, das Gesicht der Schläferin überlagert, sondern auch so, wie auf dem Bild, auf dem parasitäre Schwämme oder Pilze einer menschlichen Hand habhaft werden. Es gibt sie nämlich wirklich, die Gattung der Cordyceps, zu den Schlauchpilzen gehörige Parasiten, die nicht nur in den Körper, sondern auch in das Gehirn ihres Wirtes eindringen können und so dessen Handlungen fernsteuern. Rossameisen beispielsweise werden durch diesen Zombiefungus derart manipuliert, dass sie die Gruppe ihrer Artgenossen einfach unvorsichtig verlassen und sie schließlich, während der Parasit nun seine fleischartigen Stromata immer mehr auf ihren Körpern ausbreitet, die Ameise folglich immer mehr zu einem Pilz mutiert, alleine sterben. In einer auf einem Stück Zeitungspapier gefertigten Arbeit Pfrommers hat ein solcher Fungus wohl eine menschliche Hand zum vermeintlichen Gastgeber gemacht. Was auf den ersten Blick wie gespreizte Finger, möglicherweise als ein Teil eines im Gras liegenden menschlichen Körpers erscheint und durchaus naturromantisch daher kommt, erweist sich auf den zweiten eher als Menschenteil, das langsam aber sicher zu einer anderen Spezies, mit einem völlig anderen, äußeren Erscheinungsbild und möglicherweise auch neuem Gehirn oder zumindest Vorhaben werden wird.
Man muss das allerdings alles auch nicht so kriminalistisch angehen. Michael Pfrommer erzählt mir, dass er immer mit Gegenständen und Menschen seiner nächsten Umgebung zu arbeiten beginnt, um eben überhaupt mit etwas anzufangen und zu sehen, beim Machen, was ihn eigentlich daran interessiert. Während dieses Vorganges käme aber schon das Genre und das Wissen darüber, das wir ja alle mehr oder weniger haben, herein in den Prozess. Also: das Genre Landschaftsbild, das Seestück, das Porträt usw. Dann müsse man eben damit wieder etwas machen, wieder neu anfangen und das dann in den verschiedenen Techniken probieren: Zeichnung, Wasserfarbe, Gouache, Tusche. Solange, bis man für das Bild seine richtige Machart gefunden hätte. Meist gäbe es nur eine, sehr selten würden zwei gleichermaßen gut für eine Sache sein. Wichtig wäre, dass die einzelnen Bildelemente ihre individuelle Beschaffenheit, ihre eigene Qualität bewahren und außerdem zusammen, besser gemeinsam mit den anderen Bildteilen zu einem Bildraum, also zu dem, was man ein gutes Bild nennt, werden. Das gefällt mir und ja, es gibt von vielen Bildern viele Varianten, was ich wiederum persönlich gerne als einen Gegenentwurf zu der Behauptung, Malerei habe zwangsläufig mehr mit dem Begriff des Originals zu tun als andere künstlerische Medien, lesen möchte.
So gibt es auch mehrere Darstellungen von Socken bei Pfrommer, in manchen davon stecken, in manchen schlafwandeln leicht behaarte Beine , das ganze erweist sich bei genauem Hinsehen als eine Art Zaubertrick – wie der mit der Jungfrau, die angeblich durchsägt wird und alsdann in zwei Teilen existiert, und wir alle wissen, dass ein Teil davon nur eine Attrappe ist. Eigentümliche Schatten- und Faltenwürfe auf den Fußbekleidungen in diesen Bildern lassen nämlich darauf schließen, dass diese horizontal, beispielsweise auf einem Tisch liegend, gemalt oder gezeichnet, hernach im rechten Winkel gedreht wurden und dann die hohle Strumpfform mit einem Bein oder einer Prothese aufgefüllt oder eben eigentlich an das gemalten Bein angesetzt wurde.
Täuschungs- oder Darstellungsmanöver anderer Art gibt es bei den Bildern von Michael Pfrommer, in denen Versatzstücke aus anderen seiner Bildmotive gleichsam heran gezoomt und ausgeschnitten werden: Strukturen von Fußböden, Fliessen oder Mauersteinen, die plötzlich allein stehend eher an ein abstraktes Gemälde, an eine minimalistische Darstellung denken lassen oder aber uns wie unter Drogeneinfluss als mäanderndes, grafisches Muster sogartig anziehen. Außerdem Zäune und gitterartige Absperrungen vor Fenstern oder Balkonen, durch die der Blick geleitet wird und wir nicht gleich wissen, was vorne und was hinten ist, und ob wir noch Betrachter sind oder schon in die bevorstehende Handlung hinein gekippt sind. Was ich am Anfang dieses Textes – möglicherweise absichtlich – vergessen habe, ist, dass der Protagonist aus „Der Schatten“, der diesen erst von sich fortschickt, nachts auf einem Balkon im Süden – sie sagen 1847 „Altan“ dazu – sitzt und durch dessen Gitter eine wundersame Erscheinung auf einem der gegenüberliegenden Balkone sieht. Erst dann schickt er, neugierig geworden, seinen Schatten, eben diesen Altan zu betreten und die dazu gehörige Wohnung auszukundschaften, da es dazu von der Straße her keinen Zugang zu geben scheint. Der Schatten verschwindet aber alsdann, ohne ihm erst etwas von der Wohnung und allem, was dazugehört, zu berichten. Erst Jahre später kommt er wieder und meint, er hätte damals dort, hinter dem Balkon, alles gesehen und alles erfahren. Also wirklich alles. Weiter könne er das dem ehemaligen Herrn auch nicht erklären. Ich bin überzeugt, dass da der trickreiche Plan des dunklen Schattens schon längst begonnen hat.
Kerstin Cmelka im April, 2014
In Michael Pfrommer’s pictures, one time and again sees articles of clothing that somehow appear to imitate their wearer in that they—hollow within—are able to assume the outer form of a human body. You look, for example, into the empty inner lining of a suit that stands upright before you or is draped carefully and neatly, like a window display, to then, although listless like a discarded friend yet bold like a blithe voyeur, spend the night along with other “real” humans together in bed.
A truly dark fairytale by Hans Christian Andersen from 1847 titled “The Shadow,” tells the story of a traveling man who convinces his shadow to separate from him in order to explore something that the man himself cannot accomplish alone. But the shadow does not return to its master. It is years later, when the shadow, now wearing clothing and of seemingly human flesh and blood, knocks on the door of its former, now ailing master one night and then more than turns the tables through, namely, persuading the learned but trusting man—in return for the gift of a stay at a health resort—to play his shadow in exchange, allegedly only in pretense. In this course of events, the former master, now a pseudo-shadow, becomes more and more dependent on his once subordinate shadow. Until a time comes when no one believes him anymore when he claims to have once been a human being, or indeed to actually still be one. The cruel shadow being, however, who has meanwhile become a king, the result of a trick marriage, declares the good-natured man crazy and even has him publicly executed. The people that Pfrommer paints and draws are made up of individuals from his private surroundings, who appear in his pictures as variants of a type or a family, as doppelgangers, siblings, shadows, or as hybrids that look similar to one another in various ways. Nevertheless, although there is no hierarchical relationship between them as in the story by Hans Christian Andersen just cited—also because they are all “only” versions— they instead appear not only similar among themselves but seem to have an equivalent value to the objects, landscapes, and architecture in which they meld to become pictorial spaces. Through the painterly use of contrast and sharpness, however, in these pictures the elements of people, things, and nature—which come from different worlds—are placed in a type of formal as well as, quasi, narrative tensioned relationship. Some parts of the pictures are also combined in such a way that they pervade each another like a photographic multiple exposure and might even penetrate into the essence of one another. This happens not only with peaceful intentions as in, for instance, the picture of someone resting on a pillow that, through its pattern, as if it were a sign of mutual understanding, is superimposed over the face of the sleeping woman; but also in such a way, as in the case of the picture of parasitic sponges or fungi that take over a human hand. They really exist, the genus Cordyceps, parasites belonging to the ascomycete.
fungi, which are able to penetrate not only the body but also the brain of their host to control its actions remotely. Carpenter ants, for instance, are manipulated by this zombie fungus in such a way that they simply carelessly abandon their group of fellow creatures and ultimately, while the parasite then spreads its flesh-like stromata further and further through their bodies, while the ants consequently mutate ever more into fungi, and then die alone. In one of Pfrommer’s works made on a piece of newspaper, such a fungus has arguably made a human hand into its putative proprietor. What at first glance appears to be splayed fingers, possibly one part of a human body lying in the grass that seems quite natural-romantic in the end, proves at second glance to be rather a part of a human being that is slowly but surely becoming another species with an entirely altered outer appearance, and perhaps driven by a new brain or at least a new intention.
It’s not necessary to come at everything with such a criminological approach. Michael Pfrommer told me that he always begins working with objects and people around him in order to simply begin and then to see while working what about them, actually interests him. During this process, the genre and the knowledge of it that we all indeed more or less already possess become part of how the picture develops. Such as: the genre of landscape painting, images of the sea, portraits, and so forth. Then, one simply has to do something again, start over, and then try working in various techniques: drawing, watercolors, gouache, India ink— until the right style for the particular picture is found. In most cases there is only one, very rarely two are equally good for a specific image. What is important is the fact that the individual pictorial elements retain their specific character, their own quality and moreover together, or even better jointly along with the other parts of the picture they become a pictorial space, thus what is called a good picture. I like that and indeed, there are several versions of many pictures, something that I personally would like to read as an alternative to the claim that painting inevitably has more to do with the concept of the original than any other artistic media.
There are also numerous depictions of socks in Pfrommer’s work, some with slightly hairy legs sticking out, some sleepwalking, all of which prove on closer examination to be a type of magic trick—like the virgin who is supposedly sawn in half and thereby exists in two parts, though we are all know that one part of it is just a dummy. The peculiar cast of shadows and the fall of folds on the footwear in these pictures suggest that these empty sock forms are horizontal, perhaps lying on a table, painted or drawn, that were afterward turned at a right angle and then filled with a leg or a prosthesis or simply just fixed to a painted leg.
Michael Pfrommer utilizes another kind of illusive maneuver in his portrayals, in which elements from his others pictorial motifs are somehow zoomed in upon and cut out: structures of floors, tiles, or masonry, that suddenly stand alone rather like an abstract painting, that make one think of a minimalist image or perhaps a meandering, graphic pattern, that draws us in like a maelstrom, as if under the influence of drugs. There are also fences and lattice-like gates on windows or balconies that you look through without knowing immediately what is in front and what is behind, or whether we are still viewers or have already fallen into the story.
What I—maybe intentionally—forgot at the beginning of this text is the fact that the protagonist of “The Shadow,”who first sends it away, was sitting one night at a balcony in the South—it was called an “Altan“ in 1847—and saw through its latticework a wonderful apparition at a balcony across the way. It is first then that the man, who has become curious, sends his shadow over to that very “Altan” to explore the apartment within, since there didn’t seem to be any access to it from the street. The shadow however, then disappears without reporting anything to him about the apartment or what was in it. It’s not until years later when the shadow returns again that it claims, beyond that other balcony, to have seen and experienced everything. Absolutely everything. He couldn’t tell his former master more. I am convinced that the devious plan of the dark shadow had there already long since begun.
Kerstin Cmelka, April 2014