Lagerfeuer
Artworks
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Erhebt Piero Manzoni mit seiner Skulptur „Socle du monde“ die Welt zum Kunstwerk, nutzt sie Martin Wenzel als sein Atelier. Dies ganz im Sinne des Kunsthistorikers Gottfried Boehm, der 1992 anlässlich der Basler Ausstellung „TRANSFORM. BildObjektSkulptur im 20. Jahrhundert“ die seit der Moderne unser Kunstverständnis charakterisierenden produktionsästhetischen Tendenzen so auf den Punkt bringt: „Die eine Welt ist das Atelier des Künstlers geworden. Wo immer er sich niederlässt, schlummern künstlerische Potenzen. Die Wirklichkeit ist voller möglicher Kunstwerke, als bedürfe es nur der Fähigkeit, sie zu erwecken.“
In dem Maße, wie mit diesem Verständnis einhergeht, dass die Kunst nicht mehr etwas darstellt, sondern die Welt durchformt, reicht es nicht, sich beim Betrachten der Arbeiten Martin Wenzels allein im Spannungsfeld eines „sehenden Sehens“ gegenüber einem „wiedererkennenden Sehen“ (Max Imdahl) einzupendeln. Vielmehr fordern uns seine Objekte heraus, dem Transformationsprozess nachzuspüren, der sich zwischen seiner Vorstellungskraft und der Welt als anregende Fundstücke einstellt, um dann zur Produktion von immer neuer Kunst zu führen. Dabei ist entscheidend, dass der Künstler selbst Hand anlegt und nicht etwa bauen oder malen lässt. Denn Martin Wenzel geht es darum, sich überraschen zu lassen, was Kunst werden kann. Damit verbunden ist ein Verständnis von Kunst als einem offenen Entstehungsvorgang, bei dem das Material quasi zu einem Co-Autor wird. Es hat Mitsprache, wirkt in seiner Eigenwilligkeit beim Werden zum Kunstobjekt mit. Die damit beschriebene Methode des kalkulierten Zufalls diktiert eben auch, was als Material von Martin Wenzel wie bearbeitet wird – und seine Palette ist breit gefächert. Sie reicht von Entdeckungen im Brachland, über Sperrholz, bestellt in einer Schreinerei, bis hin zu Reststücken früherer Arbeiten oder die eigenen Arbeiten selbst. Aus der so in Gang gebrachten Produktion schöpft der Künstler Imaginationen, mit denen er den Formungsprozess anreichert und zur Kunst steigert.
Zur Verdeutlichung sei exemplarisch „Herrenknecht-Boogie“ angeführt. Martin Wenzel konstruierte als ein Wandbildobjekt ein fiktives Schneidrad vom Durchmesser 120 cm, das durch den Titel vorgibt ein Werkzeug der Firma Herrenknecht zu sein. Das Unternehmen ist auf Tunnelproduktion spezialisiert und die eigentliche Funktion der Tunnelkopfbohrer ist es – wie seine Bezeichnung besagt –, einen Tunnel zu bohren. Dieser Ingenieurskosmos wird dem Künstler zu einer visuell-akustischen Parallelimagination bildhauerischer Bearbeitungstechniken, da all die Formen und Farben, Ausstanzungen und Applikationen Träger praktischer Vorgänge in Bezug auf ein zu entfernendes Erdreich wie Lockern, Meißeln, Schleifen oder Wegschieben zugunsten der Formung eines Lochs sein sollen. Das Werkzeug als Relief zieht zugleich den ästhetischen Blick im Sinne eines freien Farb- und Formenspiels nach sich. So betrachtet erinnert es uns an Stilisierungen des Konstruktivismus. Diese Assoziation provoziert Martin Wenzel mit dem Titel „Boogie“ dann auch ausdrücklich, indem er auf Piet Mondrians New Yorker Gemälde „Broadway Boogie Woogie“ verweist. Damit unterlegt er dem Wandobjekt musikalische Qualitäten, die uns die diversen Bearbeitungsvorgänge der Scheibe als rhythmisches Stoßen, Zischen oder Kratzen vorstellen lassen. Wie lange der Künstler diese „Musik“ für uns spielen lässt, bleibt offen. Wahrscheinlich jedoch ist es, dass „Herrenknecht-Boogie“ in den Status des Halbzeugs gerät, um in der Gestalt eines neuen anderen Kunstwerks die Welt weiter durchzuformen.
Eva Linhart, Kuratorin Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main.