Velvet Trope
Artworks
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Veronika Russell
"Velvet Trope", eröffnet am 18. November bei PPC (Philipp Pflug Contemporary, Frankfurt am Main).
Philipp Pflug Contemporary freuen sich, unsere erste Einzelausstellung der Malereien von Veronika Russell präsentieren zu können.
Russell nutzt die literarische Struktur des Tropus, um klare Grenzen zwischen ihrer Malerei und deren Rezeption zu ziehen, und entwickelt dabei gleichzeitig eine Inszenierung beider. Im Gegensatz zur Vorgehensweise der meisten Künstler ihrer Generation ist der Tropus, den Russell einsetzt, aber weder die Metapher, noch die Allegorie und noch weniger die Ironie. Die von Russell eingesetzte Trope besteht in der Funktion der Antanaklasis, dem stilistischen Mittel, bei dem man ein Wort mehrfach aufeinanderfolgend verwendet, jedoch jeweils mit verschiedenen Bedeutungen. Der Unterschied zwischen den Wörtern, oder, in Russells Fall, zwischen den Gemälden, tut sich somit als ein zeitlicher Aspekt hervor und basiert auf der Tatsache, dass Wörter neue Bedeutungen annehmen können, wenn sie in einem anderen Moment oder in einem Zeitfeld gelebter Erfahrung auftauchen, in dem der Kontext (oder die Reihe von Beziehungen) mit dem Wort (oder Gemälde) reagiert, und dabei dessen Bedeutung verändert. Es mag demnach kaum verwundern, dass der Begriff Antanaklasis in seiner Griechischen Ursprungsbedeutung ‚Reflexion‘ oder ‚entgegen‘ heißt. Verschiedene Zeiten werden durch unterschiedliche Beziehungen strukturiert, welche die Neukonstituierung dessen bedingen, was ansonsten formal gleich ist. Die Gemälde selbst beinhalten die Struktur der Antanaklasis insofern, als jede von Russells Malereien ein peripheres Element beinhaltet, das eine Art von Abwesenheit oder Leere suggeriert und es dem Bild erlaubt, über die Leinwand hinaus zu wirken, gegen seine formale Positionierung zu agieren oder diese zu reflektieren. Als wären die Gemälde Momentaufnahmen eines größeren Bildes, zu dem wir nur einen begrenzten Zugang haben, wird hier eine Art von Bewegung durch die entgegengesetzte Funktion des Standbildes oder des Anhaltens von Zeit angedeutet. Beim Betrachten der Bilder wird uns akut bewusst, dass wir uns, im Gegensatz zum schroffen Abbruch unseres Zugangs zur Zeitlichkeit die in den Arbeiten angedeutet wird, in der Zeit bewegen.
Indem eine ‚Doppelsituation‘ inszeniert wird (bei der zwei Formen der Präsentation zugleich gezeigt werden), wird der Formalismus der Galerie dem des Lebens als solches gegenübergestellt; hierbei strukturiert und forciert jede Seite unsere Betrachtung des Werks durch ihren jeweiligen, sozial bedingten Blickwinkel. Durch diese Vorgehensweise bekommen die Gemälde eine ungewöhnliche Kraft. Die Malereien sind a-temporal, sie transzendieren die Echtzeit und gehören einer anderen Ordnung an; einer Ordnung die sich in enigmatischer Weise den festschreibenden Wirkkräften der chronologischen Systeme geschichtlicher Zeit (als gesellschaftlich definiertes, geschichtlich spezifisches Strukturieren menschlichen Lebens) entzieht. Die Gemälde verweigern sich der Abstraktion homogener moderner Zeitlichkeit, die unserem gegenwärtigen kosmopolitischen Leben eigen ist: und somit auch der Ausstellungs- bzw. Galerie-Situation. In einer paradoxen Wendung funktionieren sie in dieser Situation als Leerstellen oder Platzhalter, als veränderliche Größen. Der Inhalt der Gemälde wird somit in der zeitlichen Dynamik der Präsentation überflüssig. Dennoch werden die Gemälde, durch ihre außer-zeitliche Qualität, zu einer Art Meta-Narrative für Russells Inszenierung unserer Wahrnehmung. Paradoxerweise gelingt es Russell, indem sie die Malerei zu bloßen Platzhaltern degradiert (oder zu Wiederholungen in Anlehnung an die literarische Funktion der Antanaklasis), die Autonomie ihrer Werke zu gewährleisten, was wiederum die negative Konditionierung, die zur Freiheit in der modernen Welt notwendig ist, widerspiegelt. Und so funktioniert Russells ‚Tropus‘ als eine Kritikmethode, welche unsere Aufmerksamkeit darauf leitet, dass die Art, in der ein Werk gezeigt wird, phänomenologisch (unsere Erfahrung der Zeit betreffend) die Möglichkeit der Sinngenerierung bestimmt. Zunächst erscheint diese Dynamik als harmloses Nachsinnen über die verzeitlichenden Funktionen künstlerischer Rezeption, aber schnell bekommt sie auch den Anklang von Zwang und Gewalt. Was ist diese zwingende Autorität, die Einordnung und Terminierung vorgibt – Kontingenz? Möglichkeit? Oder offensichtlich ungerecht?
Bedeutung wird somit in der Abstraktion, die zwischen den Bildern stattfindet, generiert. Wie die Götter des Epikur, die in den ‚Intermundien‘ existieren, den Orten zwischen den menschlichen Welten, beruht die Autarkie der Werke auf dem Widerspruch zwischen der weltlichen Misere (dem Kunstmarkt) und dem Ideal (der Erzeugung von konzeptueller Bedeutung und ästhetischer Autonomie). Während sie auf menschliche Angelegenheiten keinen Einfluss hatten, existierten Epikurs Götter als zeitlose formale Ideale, nach denen wir vielleicht streben können, aber die wir in der Abwicklung unseres Alltags niemals erreichen werden. Man kann daher sagen, dass es in dieser Ausstellung nicht um einzelne Werke geht, sondern vielmehr um die geometrische Gestalt der Arbeiten (im Sinne Euklids, nach dem Geometrie auf der Konstruktion neuer Thesen aufbaut, welche auf den Beziehungen zwischen allgemein anerkannten Grundsätzen basieren), die nur durch die konzeptuellen Verbindungen, welche aktiv durch die Zeiträume, die zwischen den Arbeiten aufgebaut werden, hervortritt. Zeit wird dann gleichzeitig als Steuerungsmethode eingesetzt, sowie als das Medium, in dem wir die Freiheit vor zeitlicher Kontrolle finden (wobei außer-zeitliche Zustände ebenfalls zeitlich bedingt sind). Was Russell uns vor Augen hält, ist Folgendes: die Abstraktion, die ein Kunstwerk zu eben solchem macht, muss per se zeitlos sein; dennoch bleiben die Konditionen seiner Rezeption immer absolut geschichtlich und daher eingebettet in die wesentliche Struktur historischer Zeit.
„Velvet Trope“ spiegelt dann auch den binären Charakter von Russells Vorgehensweise wieder: indem die Künstlerin einerseits die autonome Wirkungsfunktion jedes einzelnen Gemäldes bekräftigt – und uns anderseits bewusst macht, dass die Malereien in der Produktion der Umstände, die diese Autonomie erst möglich machen, Nebenspieler bleiben müssen.
Rebecca Carson
Veronika Russell
"Velvet Trope", opens on 18th of November at PPC (Philipp Pflug Contemporary, Frankfurt).
Philipp Pflug Contemporary is pleased to present our first solo exhibition of paintings by Veronika Russell.
Using the literary structure of a trope Russell constructs clear boundaries between the paintings and their reception while producing the staging of both at once. Unlike the predominant approach of artists of her generation, Russell’s trope is not metaphor, nor is it allegory and it is certainly not irony. Russell’s trope is rather the function of antanaclasis, the stylistic trope where one repeats the same word only to find a different meaning each time. The difference between each word, or in this case each painting, then becomes a temporal one based on how the word gains new meaning when placed in a different moment or temporal field of lived experience where the context (or new set of relationships) acts in relation to the word (or painting) to change its meaning. It is then not surprising that antanaclasis in its original Greek means ‘reflection’ or ‘against.’ Different times are structured by different relations that determine the reconstitution of what otherwise is formally the same. The paintings themselves contain the structure of anatanclasis in that each of Russell’s paintings contain a periphery element of absence on the canvas that functions to allow the image to creep off the canvas, acting against, or reflecting off of its formal positioning. As if the paintings are snapshots of a larger image that we have only limited access to, producing a kind of movement through the oppositional function of freezing a frame, or the stopping of time. The viewer becomes acutely aware that they are in time, in contrast to the stark foreclosure of our access to the temporality the work alludes to.
Staging a ‘double situation’ (two forms of presentation at one and the same time) the formalism of the gallery is juxtaposed with the formalism of life qua life; each side structuring and forcing our attention towards the artwork by way of their respective social forms. Meanwhile this technique gives the paintings unusual force. The paintings transcend real time existing as a-temporal and thus belong to another order, enigmatic from the determining effect of the temporal order of historical time (time as a socially constituted, historically specific structuring of life). The paintings themselves then come to negate the abstraction of the homogenous modern temporality of contemporary cosmopolitan life (i.e. the gallery) and in turn paradoxically function as an empty place holder, a variable. The content of the paintings then becomes superfluous within the temporal dynamic of the presentation. However, the paintings a-temporality allow for them to exist as a kind of metanarrative for Russell’s staging of reception. Paradoxically, by reducing the paintings to a mere place holder (or the repeated word in the literary function of the antanaclasis), Russell is able to secure the autonomy of the painting, reflecting the negative conditioning necessary for freedom in the modern world. In this way, Russell’s ‘trope’ functions as a critical method that turns our attention towards how the way in which a work is displayed determines phenomenologically (experience in time) the possibility of creating meaning. This dynamic first appears as an innocent meditation on the temporalizing function of structures of reception, yet quickly becomes about coercion and force. The coercive authority of placement and timing - is it contingency? Chance? Or blatantly unjust?
Meaning is thus made in the abstractions that take place between the paintings. Like the gods of Epicurus who existed in the ‘intermundia,’ or the spaces between social worlds, the independence of the work rests on the contradiction between the misery of the world (the art market) and the ideal (conceptual meaning making, aesthetic autonomy). While having no influence on human affairs, Epicurus’ gods exist a-temporally as formal ideals that we might strive for yet can never actualize within the practice of everyday life. Hence we can say this is not a show about the individual works, but rather about the geometricalfigure of the works (in the Euclidian sense where geometry is based on the construction of new propositions based on relationships between axioms) that only come to the fore based on the conceptual ties actively forged through the time between them. Time is both used as a method of control and as the very medium where we find the conditions for the possibility of freedom from temporal control (a-temporal states are nonetheless temporal). What Russell makes clear is that while the abstraction that makes a work of art in fact a work of art must exist a-temporally, the conditions for reception are always absolutely historical and thus embedded in the constitutive structure of historical time.
"Velvet Trope" reflects the double nature of Russell’s approach; expressing the autonomous operative function of each painting, while to produce the conditions for the possibility of such, the paintings themselves must by necessity be beside the point.
Rebecca Carson